Zwei, drei Schläge mit dem Gummihammer – dann liegen die Stolpersteine im Lot. Gar nichts mehr im Lot war im Leben der Menschen, derer mit den kleinen Denkmalen im Boden gedacht wird, als nationalsozialistischer Hass und Antisemitismus ihnen an Leib und Leben ging.
Leicht zu übersehen sind sie, nah an den Häusern in den Boden eingebracht, nah an den Orten, an denen einst Menschen lebten, bevor sie Opfer eines unvergleichlichen Menschheitsverbrechens wurden: Die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig.
Vier neue Steine kamen am Mittwoch, 9. Juni 2021, in Stuttgart dazu. Sie liegen im Stuttgarter Talkessel an belebten Orten, in Straßen, die man kennt: Calwer Straße, Silberburgstraße, Heusteigstraße. Es waren Stuttgarterinnen und Stuttgarter mitten in Stuttgart, die ihr Leben lassen mussten, weil ihre Herkunft und ihr Tun, ihre Erkrankung nicht zur Ideologie des nationalsozialistischen Deutschlands passten.
In kleinen Gedenkfeiern wurde von Musik umrahmt vier Menschen gedacht: Hans Karl Perlen, Klara Hübner, Josefine Glück und Hermann Glück. Ihre Lebensläufe standen im Mittelpunkt.
Hans Karl Perlen wurde am 5. April 1891 in Stuttgart geboren und stammte aus einer angesehenen jüdischen Familie aus Esslingen. 1936 musste er seinen Beruf aufgrund seiner jüdischen Herkunft aufgeben. Auch seine Frau Fanny, geborene Hammel, war jüdischer Herkunft, war aber neuapostolisch. Die beiden hatten am 14. Februar 1922 geheiratet. Doch die Ehe wurde am 19. August 1937 geschieden.
Hans Karl Perlen ging eine neue Beziehung ein. Seine Partnerin war nach der nationalsozialistischen „Rassentheorie“ eine „Arierin“. Deshalb wurde Hans Karl Perlen 1938 zu über einem Jahr Zuchthaus wegen „Rassenschande“ verurteilt. Bis zum Krieg war Perlen recht vermögend gewesen. Doch sein gesamter Besitz wurde von der Gestapo beschlagnahmt. Er wurde nach Auschwitz und in das Konzentrationslager Warschau deportiert, wo er an Flecktyphus verstarb. Vom Vater 1937 in die Schweiz gebracht, konnte sein Sohn Alfred 1951 nach Amerika emigrieren. Die Ehefrau Fanny war 1941 nach Riga deportiert und ermordet worden.
Klara Hübner wurde 1886 in Lichtenau/Schlesien geboren. Wann sie nach Stuttgart kam, ist nicht bekannt. Sie war Mitglied der neuapostolischen Gemeinde Stuttgart-Süd und arbeitete als Krankenschwester. Im Juli 1936 brach Klara Hübner in einem Haus in der Schwabstraße zusammen. Die Ärzte diagnostizierten eine psychische Erkrankung. Im August 1936 erfolgte ihre Einweisung in die Heilanstalt Zwiefalten.
Von dort wurde sie am 13. August 1940 nach Grafeneck deportiert und am selben Tag getötet. In dieser Tötungsanstalt wurden über 10.000 Menschen mit einer Behinderung umgebracht. Körperlich und psychisch Kranke waren gemäß der nationalsozialistischen Rassenideologie „lebensunwert“. Diesen Krankenmorden fielen bis 1945 über 200.000 Menschen zum Opfer.
Josefine Glück wurde in Wien geboren, war ungarische Staatsbürgerin und jüdischer Herkunft. Sie war alleinerziehende Mutter ihres 1901 geborenen Sohnes Hermann. Beide waren Mitglieder der Neuapostolischen Kirche und Josefine wohnte später bei Hermann und seiner Familie in der Heusteigstraße 73. 1942 wurde sie zwangsweise in das jüdische Altersheim Herrlingen eingewiesen, danach in das Heim in Oberstotzingen.
Am 22. August 1942 wurde sie von Stuttgart nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 28. März 1943 verstarb.
Ihr Sohn Hermann Glück, ein geachteter Beamter bei der Industrie- und Handelskammer, war Seelsorger in der neuapostolischen Gemeinde Stuttgart-Süd. Doch nach der nationalsozialistischen Rassenterminologie war er „Mischling ersten Grades“. Dies verhinderte seine berufliche Karriere. Die Gestapo verfügte, dass er sich im November 1944 für einen Arbeitseinsatz bei der „Organisation Todt“ stellen musste. Herzkrank, verletzt und völlig geschwächt kam er im Februar 1945 nach Stuttgart zurück. Er musste jahrelang von seiner Frau gepflegt werden. Auch wenn es ihm danach besser ging, so starb er doch im Jahr 1969 an den Spätfolgen der Haft und Zwangsarbeit.